Tag 04 – Nuovo Futbol Puerto Plata

Entsprechend früh (~ 5:00 Uhr) fielen wir wieder aus dem Bett und wachten erst am Kaffeeautomaten auf. Wir bemerkten, dass wir uns am Vortag verbrannt hatten und beschlossen, den Tag mit Rum im Schatten zu verbringen. Nach dem Frühstück lernten wir Domingo kennen, einen gut deutschsprechenden Dominikaner, der zum Occidental Promotionteam gehört. Er brachte uns in ein Büro, um ein Termin mit Heidi zu vereinbaren.

Nach dieser anstregenden Tätigkeit zogen wir uns schleunigst wieder an die Bar zurück. Domingo stieß wieder zu uns und wir redeten über Gott und die Welt, seine österreichische Frau und seinen Besuch in Deutschland letztes Jahr. Als wir auch auf das Thema Fußball-WM kamen meinte er, am Abend würde ein Fußballspiel in Puerto Plata stattfinden und er könne uns gerne mitnehmen. Wir willigten ein und verabredeten uns für 16:00, weil er uns vor dem Spiel noch ein bischen von Puerto Plata zeigen wollte.

Da es erst 11:00 Uhr war, tranken wir an der Bar weiter. Das endete so derbe, dass wir stockbesoffen ohne Lunch gegen 12:30 Uhr zu Bett gehen mußten. Als wir wieder zu uns kamen, brachte ein Anruf bei der Rezeption die Gewißheit, dass es bereits 15:00 Uhr war. Da wir hungrig waren, machten wir uns zum kurzen Snacken an die Poolbar und schon war auch Domingo da. Durch unser katastrophales Timing an diesem Tag vergassen wir sogar die Kamera und stiegen in Domingos Kleinwagen mit ausgeprägt kalter Klimaanlage.

Wir verliessen Playa Dorada durch das Gate, bogen nach rechts auf die Hauptstraße ein und dann ging es vorbei an der Fabrik von Brugal und einem neuen 5-Sterne-Komplex zum Zentrum von Puerto Plata. Hier brummte das Leben wie eh und je, große Veränderungen fielen mir auf den ersten Blick auch nicht auf – außer dass an den wenigen Ampeln jetzt ein großer Countdown hängt, der jeweils die Zeit bis zur nächsten Ampelphase runterzählt. Domingo fuhr mit uns zur Zitadelle von Puerto Plata, von wo wir auf den Hafen schauten, und zeigte uns den Gedenkstein für den Flugzeugabsturz von 1996. Danach zeigte er uns den Rohbau seines Hauses, direkt an der Promenadenstraße gelegen. Damit hat er wohl einen der schönsten Strände direkt vor der Haustür, seit Presidente alle Strände Puerto Platas mit weißem Sand aus Punta Cana auffüllen ließ.

Domingos Viertel besteht aus schmalen unbefahrbaren Gassen, von denen aus man bei den Nachbarn direkt ins Wohn- bzw. Schlafzimmer gehen kann. Geheimnisse hat hier vermutlich keiner. Unser Freund hat das alte Haus seiner Mutter, das er mit Vater und Geschwistern bewohnt, nach oben hin aufgestockt. Zur Gasse hin hat er einen schmalen langen Balkon mit griechischen Säulen bestückt. Im Vergleich zu einigen seiner Nachbarn, die unter Wellblechdächern hausen, und zu seiner Schwester im Erdgeschoss, die Ihre Tangas für alle sichtbar in den Lüftungslamellen ihrer Fensterläden verstaut, grenzt das entweder an Surealismus oder aber schlicht Größenwahn. Nichtsdestotrotz war das ein ungemein interessanter Einblick in das Leben der Einwohner von Puerto Plata. Nicht viele All-In-Hotelgäste werden sowas besuchen. Leider. Nun machten wir uns auf den Weg zum Sportkomplex, einem Olympiastützpunkt, wo später auch das Fussballspiel stattfinden sollte. Domingo führte uns durch ein Fitnessstudio oder sagen wir treffender “Gym”, in eine Sporthalle wo augenscheinlich noch Schulsport stattfand und den Karate-Dojo über der Sporthalle. Das ganze hat einen Touch, wie ich ihn von sozialistischen Bauten nur zu gut kenne. Da wir noch etwas Zeit hatten und ich Geld wechseln wollte, fuhren wir kurz zu der Wechselstube, die den besten Kurs im ganzen großen Gebiet von Puerto Plata bietet: Agente de Cambio, C/ 12 de Julio #33, Puerto Plata.

Dann machten wir endgültig am Sportplatz fest. Wir nahmen auf der Tribüne Platz und wurden natürlich erstmal argwöhnisch von allen Anwesenden beäugt. Es stellte sich schnell heraus, dass Domingos Mannschaft bedingt durch einige Rotsperren personell stark unterbesetzt sein würde und der vermeintliche Scherz, ich könne ja mitspielen, als eine ernstgemeinte Aufforderung zu verstehen war. Da ich nicht offen kneifen wollte, verwies ich auf meine Sandalen und den Mangel an Fußballschuhen in Übergrößen wie ich sie trage, in der Hoffnung, dass dieser Kelch an mir vorübergehen würde. Mit den Worten “no problemo” schickte Domingo einen seiner rotgesperrten Kollegen los, mir passende Fußballschuhe zu besorgen. Nach meiner Größe fragte mich dabei aber niemand. Ich wurde nun erst auf den Platz und dann zum Zeughaus zitiert. Erst beim Begehen fiel mir auf, in welch katastrophalen Zustand dieser “Rasenplatz” war. Überall offene, harte, mit Steinen übersähte Stellen umgeben von sprödem, unebenem Gras.

Am Zeughaus angekommen reichte man mir das schwarz-orangene Trikot mit der No. 2 und eine passende Hose dazu. Ich zog mich kurzerhand im Freien um und hörte dabei, wie Domingo den umstehenden Jungs, die mir neugierig zusahen, mehrfach was von Bayern München erzählte. Ich beschwor ihn, nicht solchen Mist zu erzählen, aber er grinste nur gewinnend und ehe ich noch was sagen konnte, trafen meine Fußballschuhe ein. Niedergerittene Adidas-Fußballschuhe, gut zwei Nummern zu klein. Ich zwängte einen Fuß hinein und bedeutete Domingo, dass sie viel zu klein seien. Er kam herbei, drückte mir auf den großen Zeh und erwiderte “Ok, no problemo!”. Zu stolz um jetzt den Schwanz einzuziehen, schnürrte ich die viel zu kleinen Schuhe und lief eiernd auf den Platz.

Sascha de Alemania Nummero Dos würde also wirklich ein Pflichtspiel für “Nuovo Futbol Puerto Plata” absolvieren. So steht es auf dem Spielberichtsbogen. Den Teamkameraden warf ich nur ein lautes “Defender” hin, damit ich bei der Hitze nicht allzuviel laufen müßte. Ich zählte meine Mannschaft durch und kam auf neun. Neun gegen elf, also würde es nichts mit “ruhige Kugel in der Verteidigung schieben”. Hätte ich doch bloß “Forward” gesagt. Domingo schob mir noch schnell ein paar Bälle zu und dann war auch schon Anstoss. Ich blickte zu Tina, die mit rund 80 Dominikanern auf der überdachten Stahlbetontribüne saß. Sie war die einzigste Weiße und daher leicht auszumachen. Ich dachte noch kurz darüber nach, wann ich wohl mein letztes richtiges Fußballspiel bestritten hatte. War das 14 oder gar 17 Jahre her? Schnell zeigte sich die Konsequenz aus Alkohol am Morgen, Hitze, zu kleinen Schuhen und nicht zuletzt einer zu geringen Kondition.

Der Gegner stellte einen quirligen schnellen Stürmer namens Piranha auf mich ab. Als der merkte, welche Probleme ich hatte, wies er seine Mannschaftskameraden darauf hin. Um das zu checken bedarf es keiner Spanischkenntnisse. Kurz darauf kreuzte Piranha munter mit einem seiner Kollegen auf meiner rechten Abwehrseite. Ich war schon nach 10 Minuten am Ende, die Zehen schmerzten mir bei jedem Schritt und Piranha hatte bereits in meinem Rücken ein Tor erzielt, das glücklicherweise wegen abseits nicht gegeben wurde.

Wenigstens einmal wollte ich es ihm zeigen und als er mal wieder über meine außen vorstieß, setzte ich aus vollem Lauf zur Grätsche an und spitzelte ihm tatsächlich gekonnt den Ball vom Fuß. Der Moment des Triumphs währte nicht allzu lange, ein breiter Schmerz machte sich seitlich auf meinem rechten Oberschenkel bemerkbar. Meine Grätsche ging genau an einer der Stellen zu Boden, wo der Platz steinigem Acker gleicht. Entsprechend sah mein Oberschenkel aus.

Da unser Team mittlerweile wie auch immer vollzählig spielte, fiel es mir recht leicht unter Hinweis darauf, in den Schuhen nun wirklich nicht mehr laufen zu können, nach rund 25 Minuten den Platz zu verlassen. Ich eierte an die Seitenlinie zu Domingos Trainer und erklärte ihm die Sachlage auf Englisch. Ich denke, er hat kein Wort davon verstanden. Seinen Sohn, der neben ihm an der Seitenlinie stand, habe ich kurzerhand auf meine Fußzehe drücken lassen. Der Junge bekam große Augen und erklärte seinem Vater auf Spanisch, was Sache ist. Beide lachten herzlich und ich mußte auch lachen. Ich ließ mich neben dem Trainer nieder und zog die quälenden Schuhe schleunigst aus. Der Trainer fragte mich auf Spanisch nach meinem Namen und ich antwortete mit “Sascha de Alemania”. Genauso hat er es vor meinem Augen in den Spielbericht eingetragen. Dann verabschiedeten wir uns und ich ging auf Stutzen mit den Schuhen in der Hand einmal außen um den Platz zur Tribüne wo Tina auf mich wartete.

Die Jungs auf der Tribüne sahen mich höhnisch an, mit diesem “Weichei-Gringo-Ausdruck” auf ihren Gesichtern. Nachdem ich mich dann aber neben Tina niedergelassen hatte, sie die Fußballschuhe zum Größenvergleich neben meine Sandalen hielt um damit zu demonstrieren wieviel zu klein meine Schuhe wirklich waren, konnte ich tatsächlich Anerkennung spüren. Ich war heilfroh, dass es vorbei war und ich ohne größere Verletzung aus der Sache gekommen bin. Mein Schweiß trocknete ob der Schwüle nur sehr sehr langsam und ich zog mich direkt auf der Tribüne wieder um. Interessant war, dass sich nun eigentlich niemand wirklich um unsere Anwesenheit scherte, obwohl bestimmt nur selten Gringos in dieses Viertel kommen. Mittlerweile stand es 0:1, Piranha hatte nun doch regulär getroffen und es wurde Halbzeit gepfiffen.

Domingo kam zur Tribüne rüber und ich bedeutete ihm, dass ich durstig sei und Wasser holen würde. Man sah ihm an, dass ihm das Sorge bereitete und er fragte nur “Wo?”. Ich deutete zur Hauptstraße und meinte, wir würden in dieser Richtung schon was finden. Er sagte “Neben der Polizei.”. Das Wort Polizei gab mir zusätzliche Sicherheit und so verließ ich mit Tina die Sportanlage. Tatsächlich kam ein Stück weiter ein Polizeigebäude, davor ein Jeep an dem zwei mit Maschinengewehren bewaffnete Beamte lehnten und sich unterhielten. Ich nickte ihnen im Vorbeigehen kurz zu und sah auch schon ein kleines Geschäft nur ein paar Meter weiter.

Am Eingang lehnte ein junges Mädchen, ich hielt ihr meine leere Wasserflasche vor die Nase und fragte “Agua?”. Sie rief ihre Kollegin, die sogleich raus auf den Bürgersteig trat. Dort stand am Bordstein ein riesiger Kühlschrank, den sie öffnete. Ich fragte sie “Grande agua?” und sie deutete auf die großen 10-Liter-Wasserbehälter neben dem Laden. Also sah ich in den Kühlschrank, wo sich nur 1/2-Liter Flaschen befanden und sagte zur ihr “Cuattro” und nahm zur Unterstützung vier Finger hoch. Sie reichte mir vier Flaschen Wasser und ich ging mit den Flaschen zum Bezahlen in den düsteren Verkaufsraum. An der Kasse saß nun die Kleine vom Eingang und sagte zu mir “Cuaranta peso.”. Ich wiederholte murmelnd “cuaranta” ohne genau zu wissen, welche Zahl das ist und blätterte meinen kleinen Bündel Pesoscheine durch. Eine Frau neben mir deutete auf einen 50-Pesoschein und meinte “Ok.”. Ich gab also dem Mädchen den Schein und bekam 10 Peso zurück. Ich bedankte und verabschiedete mich und verlies mit Tina den Laden um zum Fußballstadion zurück zu gehen.

Als wir wieder auf der Tribüne Platz nahmen, lief bereits die zweite Halbzeit uns es stand mittlerweile schon 0:2. Ich stellte eine Flasche neben Domingos Sachen, er würde nach dem Spiel sehr durstig sein. Die anderen drei stellte ich zunächst neben meine Füße und machte mir dann gerade eine davon auf, als es mir auf den Rücken tippste. Als ich mich umwand, erblickte ich über mir sitzend einen Jungen, der mir bedeutete, dass er gerne etwas trinken würde. Ich gab ihm also die Flasche und nahm mir gerade eine neue, als er mir seine wiedergeben wollte. Ich ließ meinen Zeigefinger kreisen und deutete auf seine Kumpanen, die neben ihm saßen. Die Jungs bedankten sich dafür überschwenglich mit Gracias und Thank yous. Sehr netter Moment.

Das Spiel war langweilig geworden und das Flutlicht wurde eingeschaltet, denn es war schon recht dunkel. Tina und ich genossen nun die fremde Atmossphäre. Neben uns saß ein Junge, der gebratene panierte Irgendwas in einer großen grünen Plastikschüssel anbot. Viele Zuschauer nahmen sich einfach etwas daraus und drückten ihm ein paar Pesomünzen in die Hand. Derweil versuchte meine Mannschaft auf dem Platz das Spiel doch noch mit kühnen Angriffsversuchen zu kippen, was die Zuschauer mit lauten Rufen und Jubeln unterstützten. Schon war das Spiel vorbei und Domingo fuhr uns zum Hotel zurück. Ich gab ihm beim Aussteigen einen 500-Peso-Schein (~12 Euro) für das Benzin und seinen Aufwand. Wir verabschiedeten uns, zogen uns schnell um und genossen das Dinner. Den Abend ließen wir in der Lobby ausklingen.

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