Tag 12 – Puerto Plata I

Der erste Tag, der ohne Sonnenschein beginnt. Dafür ist es irre schwül. Wir beschliessen kurzerhand mit 100 Euro in der Tasche nach Puerto Plata zu fahren. Mit langen Jeans und festem Schuhwerk sind wir schon bei der Ankunft am Gate nassgeschwitzt und fertig. Der dicke Pablo winkt von der anderen Straßenseite und wir beeilen uns in das bereitstehende Guagua, einen Mitsubishi-Kleinbus im VW-Bus-Format, zu steigen. Wir zwängen uns in die letzte Sitzreihe, außer uns ist nur eine Art Schaffner und eine junge Dame auf dem Beifahrersitz an Bord. Nahverkehr ist ein echtes Erlebnis in der Dominikanischen Republik: Während Tina feststellt, dass das Interior einem Barkass 1000 gleicht, bemerke ich den Aufkleber, der von innen mittig auf der Windschutzscheibe klebt. Jesus liebt dich steht in Spanisch darauf geschrieben.

Als das Gefährt sich in Bewegung setzt wird schnell klar, dass es göttlichen Beistand wirklich nötig hat. Es ist in katastrophalem technischen Zustand. Auf den gut 5km bis Puerto Plata füllt sich der Innenraum mit 17(!) Personen inklusive Fahrer. Man stoppt ein Guagua ganz einfach an einer beliebigen Stelle durch seltsames Handschütteln am Straßenrand. Die letzten 2km quetscht sich mal wieder ein dominikanischer Frauenhintern zu uns in die letzte Reihe. Dazu muss man wissen, dass ein dominikanischer Frauenhintern zweieinhalb europäischen Exemplaren entspricht. So beengt entscheide ich kurzfristig, dass wir am “Campo” aussteigen.

Ich bin der irrigen Annahme, dass das Zentrum nicht allzu weit entfernt wäre. Beim Aussteigen reiche ich RD$40 zum Fahrer, der normale Tarif beträgt RD$10 pro Nase. Schon stehen wir mitten im Gewusel von Puerto Plata. Der Himmel ist stark bewölkt, es herrschen rund 30°C bei sehr hoher Luftfeuchtigkeit. Tausende von Mopeds schwängern die Luft zusätzlich mit Zweitaktergestank, er herrscht hier de facto Smog. Von allen Seiten werden wir angehupt und angepfiffen – so will man uns dazu bringen auf ein Mototaxi aufzusteigen. Dabei handelt es sich um handlesübliche 50ccm-Zweiräder auf denen die Dominkaner mit bis zu 5 Personen Platz nehmen und nebenbei auch noch Gasflaschen oder Schaukelstühle transportieren. Man wird uns den ganzen Tag lang anhupen.

Wir beschliessen uns zu Fuss in eine Straße zu schlagen, von der ich annehmen sie führt uns Richtung Kirche – Parque Central. Man muss arg auf den Weg achten, an Rinnsteinen kann man sich die Füsse brechen und sehr häufig gibt es offenstehende Kanalisationsschächte, in denen ein Mann ohne weiteres verschwinden kann. Zudem liegt Puerto Plata in Hanglage am Fusse des Pico Isabel de Torres und die heftigen Regenfälle vor 14 Tagen haben viel Schlamm und Geröll auf den Straßen hinterlassen.

So stolpern wir die ohrenbetäubend lauten Straßen hinunter, passieren Garküchen, die mitten auf dem Gehweg stehen und von denen europäische Mägen augenscheinlich sofort kollabieren würden. Wir kommen an eine Mittelschule, die, von hohen Mauern umgeben, zusätzlich mit Nato-Stacheldraht gesichert ist. Wir fragen uns, wer da wohl vor wem geschützt werden muss. Die Schüler tragen Schuluniform – die Mädchen weiße Hemden, graue knielange Röcke und weiße Kniestrümpfe, die Jungs hellblaue Hemden und dunkelblaue Hosen. An der Hemdtasche ist jeweils das Schulwappen aufgenäht. An einer Kreuzung hat ein muchacho auf seiner Veranda fette Boxen und sein DJ-Pult aufgebaut und beschallt so mit heißen Bachata-Schnulzen die Kreuzung und den gesamten Block.

Ein wenig verloren halte ich einen Schuljungen an und frage ihn mit meinen marginalen Spanischkentnissen “Donde esta el cathedral?”. Er zuckt nur die Schultern und so pantomiere ich ein großes Haus und sage “Grande edificio.”. Manchmal helfen meine Lateinkenntnisse eben doch, denn er zeigt uns die grobe Richtung. Wir bedanken uns und marschieren weiter in die gewiesene Richtung. Die Straße endet an einer T-Kreuzung und da wir nicht wissen ob links oder rechts, setzen wir uns kurzerhand für eine Zigarettenpause. Wir bemerkten hinter uns einen Klamottenladen, vor dessen Schaufenster Puppen standen. Die Preise klangen verlockend und da ich ohnehin nach dem Weg zu “parque central” fragen wollte, beschlossen wir den Laden zu betreten. Er war vollgestopft mit Klamotten, insgesamt 9 chicas standen bereit Kunden zu bedienen. Wir wühlten uns durch die vollgepackten Kleiderständer und entdeckten dabei die tollsten Kleidungsstücke. Insbesondere ein T-Shirt hatte es mir sofort angetan und so begann ich mit der Verkäuferin zu radebrechen, über die Größe und den Preis. Da ich nur Euroscheine einsteckten hatte, fragte ich nach einer Möglichkeit des “cambio”, also Geldwechsels, und bedeutete, dass wir wiederkehren würden. An der Kasse fragte ich trotzdem nochmal nach dem Weg zu “parque central”, da sich dort auch die Wechselstube befindet, die ich schon mit Domingo aufgesucht hatte.

Aus dem Laden rechts und immer “derecho” geradeaus. Wir hätten die Kreuzung direkt neben dem Geschäft überqueren müssen, um in dem Verkehrschaos sicher hinüber zu gelangen, entschlossen wir uns die einmündende Straße ungefähr 40m von der Kreuzung zu queren. Weiter ging es vorbei an Motorradschraubern, die ihre Werkstatt auf dem Bürgersteig eingerichtet haben, vorbei an Straßenrestaurants mit Theke direkt am Bürgersteig, kleinen Geschäften mit allerlei Krams. Kurz vor der Kirche grüßte ein junger Dominikaner von der anderen Straßenseite, winkte uns zu und kam über die Straße zu uns. Er würde in unserem Hotel am Pool arbeiten, sein Name wäre Toni und er hätte mich an meiner Mähne erkannt. Verdammtes Plastik-Allin-Armband.

Wir hingen jetzt am Haken des Schleppers. Ich hatte ohnehin Probleme die angestrebte Wechselstube wiederzufinden und so fragte ich Toni nach einer guten Möglichkeit zum Wechseln. Er führte uns in ein klimatisiertes Büro, das eigentlich gar nicht wie eine Wechselstube aussah. Ich fragte nach dem Kurs für Euro. 41,50. In der anderen hätte ich wohl 43,50 bekommen, aber angesichts des Stresses war mir das jetzt auch egal und so wechselte ich die 100 Euro kurzerhand hier. Wieder auf der Straße wollte Toni uns einiges zeigen (seine Provisionsläden natürlich) und da Tina ohnehin ein neues Armband suchte, ließen wir uns von ihm an den Haken nehmen.

Er führte uns in das Viertel, das von den Einheimischen “Markt” genannt wird, de facto aber ganze Straßenzüge mit Giftshops, Touristenfallen und Zigarren”fabriken” darstellt. Wir betraten also einen solchen kleinen Giftshop “Sweet Queen” und die Besitzerin, Reyna, begrüßte uns sofort. Scheinbar beherrschen hier alle gut deutsch. Während Tina sich Armbänder und Ohrringe zeigen lies, ging ich vor die Tür um eine zu rauchen. Draußen quatschte mich natürlich sofort ein weiterer muchacho mit einem Stapel selbstgebrannter Musik-CDs voll, ich solle doch Merengue und Bachata von ihm kaufen. Ich schmetterte ihm genervt “hoy no, manana si” entgegen und der Typ trollte sich wirklich sofort ohne ein weiteres Wort.

Toni kam raus und gab mir einen kleinen Plastikbecher, gefüllt mit brauner Flüssigkeit, Mama Juana. Ich kippte das Ding ab und merkte, wie sich die Hitze nun auch innerlich ausbreitete. Zurück im Laden hatte Tina sich bereits ein Armband ausgesucht und Reyna versuchte unbedingt noch ein paar Ohrringe draufzusatteln. Also stiegen wir in die harten Verhandlungen ein, die wir in englisch führten. 4500 Peso, also gut 110 Euro für Armband und Ohrringe. Puh. Also erstmal weg mit den Ohrringen. 3600 Peso, 90 Euro für das Armband. Es war so schwül und der Schweiß ran an mir herunter. Das T-Shirt war schon klatschnaß. Wir bekamen noch eine Runde Mama Juana. Jetzt wurde es brutal, die Mischung drehte ohne Ende und ich war kurz vor dem Kollaps. Trotzdem handelte ich wie ein Teufel, bis wohl ihre Schmerzgrenze bei 2700 Peso, also 67,50 Euro, erreicht war. Alles weitere verhandeln scheiterte, sogar der Versuch der Dame im Gegenzug ein Onlinebusiness in Aussicht zu stellen. Interesse hat sie daran, einzig beim Preis wollte sie nicht mehr nachgeben. Deal. Bezahlt und noch schnell meine Emailadresse für Reyna dagelassen, vielleicht hat sie ja doch Interesse an einem Onlineshop…?

Vor der Tür will Toni uns hinter sich herlotsen, Bilder- und Zigarrenfabrik, dass volle Programm erwartet uns noch. Ich verweise auf die Schwüle (an solchen Tagen schwitzen selbst Dominikaner richtig) und erkläre, dass wir fertig seien und nur noch ins Hotel wollen, den Weg zum Parque Central würden wir selber finden und auch ein Guagua würden wir klarmachen können. Damit er uns auch wirklich so ziehen läßt, gebe ich ihm 100 Peso. Davon will er sich eine große Flasche Presidente kaufen. Bier bei diesen Temperaturen? Ächz.

Tatsächlich finden wir uns ohne Begleitung am Parque Central wieder. Die Tür zur Kirche steht offen, so werfen Tina und ich einen kleinen Blick hinein, bevor es wieder zurück in die Richtung geht, aus der wir gekommen waren. Es ist nun noch einen Tick schwüler, alles bunt und laut, der Dauerstress machte sich nun bemerkbar. Wir kommen an einen weiteren Modeladen, Jimenez, riesig und vor allem: klimatisiert. Wir bummeln staunend eine gute Stunde durch die zwei Etagen, bis wir runtergekühlt und entspannt genug sind unseren Marsch fortzusetzen. Wir beschliessen aber auf jeden Fall an einen anderen Tag nochmal diesen Laden zum Shopping aufzusuchen. Eine Nürnbergerin aus unserem Hotel treffen wir auch noch in dem Laden, sie ist hier mit Dieter aus der Plaza auf Privatshoppingtour. Sie gibt uns den guten Rat, unsere Armbänder so zu wenden, dass die weiße Seite nach außen zeigt. So hätten die Schlepper keine Handhabe mehr uns vertrauenseelig anzuquatschen. Auf diese Idee hätten wir auch selber kommen können.

Weiter geht es in die Richtung, aus der wir gekommen waren. Theoretisch müssten hier doch die Guaguas Richtung Sosua fahren. An einer großen Kreuzung spreche ich einen Senior mit Senior an und frage ihne sowas wie “Donde esta un guagua direcion Sosua”. Er weist uns natürlich in die komplett falsche Richtung, wie wir später bemerken müssen. So kämpfen wir uns über eine vierspurige Hauptstraße in deren Mitte Kanalschächte klaffen. Der Bürgersteig hier sieht teilweise aus wie nach einem Erdbeben. Wir rätseln ob das die Folgen der heftigen Regenfälle von vor zwei Wochen sind oder ob es hier wohl immer so aussieht. Irgendwo stehen dann am Straßenrand ein Haufen Leute, die den Eindruck machen als ob sie auf einen Transport warten. Wir nutzen die Gelegenheit, lehnen uns in ihrer Nähe an einen Zaun und warten einfach mit. Einzig und allein ein Transport kommt nicht. Nach zwei Zigaretten beschliessen wir einfach weiterzumarschieren und kommen an die Kreuzung zweier Hauptstraßen. Wir rätseln, wie wir darüber kommen sollen: Alles staut sich, durch die kreuz und querstehenden Fahrzeuge wuseln überall Motoräder hindurch, der Bürgersteig endet an einer Klippe in die Kanalisation. Wir stapfen in der Rinne durch Geröll in die kreuzende Straße, um an etwas ruhigerer Stelle zu queren. Chaos pur und mittendrin entdecke ich einen Porsche Cayenne. Geländewagen schön und gut aber wenn ich mir diese Straße anschaue, ist der hier wohl das ungeeignetste Geprotze überhaupt.

Weiter die Hauptstraße entlang kommt ein kleiner Dicker auf uns zu. Er hat ein Schild mit der Aufschrift “Express” in den Händen und fragt wo wir hinwollen. Unter einer Art Carport stehen 5 Guaguas und die Fahrer sitzen in kleiner Runde zusammen und blöken. Ich erkläre dem Dicken, dass wir noch genau vier Dollar haben und nach Playa Dorada wollen. “No problemo” sagt er und zieht mir die vier Dollar aus der Hand. Dann wendet er sich an die Runde und weist einen Fahrer an, seine Pause zu unterbrechen. Die Runde mustert uns von unten bis oben – der Fahrer lehnt ab. Seine Unwilligkeit löst einen kleinen Disput aus. Endlich erklärt sich einer bereit die Fahrt zu übernehmen und wir werden mit dem Hinweis darauf, es geht in 5 Minuten los zu einem Guagua geleitet. Wir dürfen zu zweit auf der Fahrerbank Platz nehmen. Sie ist mit einem Patchoulie-Flickenteppich überzogen. Die Frontscheibe ist schwarz abgeklebt, sodass nur noch ein kleiner Sehschlitz übrig bleibt. Die Hitze in dem Kleinbus ist kaum zu ertragen und ich stecke meinen Kopf seitlich aus dem Wagen. Endlich geht es los – genau zurück in die Richtung, aus der wir kamen. Wir passieren die Stelle, an der mich der Senior fehlgeleitet hatte, biegen in die Straße zur Kirche, die wir entlanggestolpert waren. Offensichtlich hatten wir genau die falsche Richtung gewählt. Das allererste Mal, dass mir die Orientierung offensichlich absolut versagte.

Am Parque Central hält das Guagua, der Schaffner und der Fahrer steigen aus und bemühen sich darum, weitere Fahrgäste nach Sosua zu finden. 5 Kanadierinnen steigen zu, ein Dominikaner lädt endlange Fußleisten in das Fahrzeug. Das Prozedere dauert gut 10 Minuten und wir sind wohl mittlerweile schon zu zehnt. Weiter geht es zum Campo, der Haltestelle für die Linientaxis. Dort wiederholt sich der Stop und die Fahrgastsuche. Meine Seitenscheibe ist offen und so bekomme ich derweil allerlei unidentifizierbare Speisen angeboten, die in Plastikschüsseln feilgeboten werden. Diesmal dauert es eine Viertelstunde, bis das Gefährt sich wieder in Gang setzt. Aus meinen Augenwinkeln sehe ich, dass der Schaffner außen am Fahrzeug hängt. Das bedeutet, das Guagua ist fast voll. Wir sind wohl nun ca. 20 Leute in dem Kleinbus.

Endlich erkennen wir den Kreisel an der Einfahrt nach Puerto Plata, nun sind es nur noch wenige Minuten bis zu unserem Ziel. Gegenüber dem Gate von Playa Dorada hält das Guagua und wir fallen mit einem Gracias aus der Tür. Der Schaffner mosert mich wegen Bezahlung an, der Fahrer macht ihm klar, dass wir schon bezahlt hätten. Ich höre nur noch ein “ok” und schon rollt der Wagen an uns vorbei. Der ca 2,5km lange Weg vom Gate in das Hotel zieht sich wie Kaugummi, unsere Füße, die kein festes Schuhwerk mehr gewöhnt sind, brutzeln richtig und die Jeans klebt am Körper. Endlich sind wir im Hotel, der erste Gang führt an die Bar. Wir schütten jeder 3 Becher Limo in uns rein und runden das Ganze mit einem Pina Colada ab. Das Mittagessen haben wir verpasst und so essen wir nur einen Hamburger. Wir bemerken, unter welchen Streß wir durch das Erlebte in Puerto Plata stehen und so relaxen wir so gut es geht, denn der bedeckte Himmel öffnet gegen 16 Uhr seine Schleusen und schließt sie bis 21 Uhr nicht mehr.

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