Tag 08 – Madame Clio
Da wir Domingo nach dem Frühstück nicht finden konnten, gingen wir zum Zigarettenkaufen in die Plaza. Von dort riefen wir auch meine Oma an. In der Plaza lernten wir Mike kennen, der sich schnell als in den USA aufgewachsener Haitianer entpuppte. Wir sprachen ihn auf Voodoo an und er erzählte uns von seinen Erfahrungen damit. Haiti ist ein wirklich armes Land und Mikes Vater ist irgendwie zu einem großen amerikanischen Auto gekommen. Die Nachbarn haben es ihm aber so geneidet, dass sie einen Voodoozauber in Form eines auf den Boden verstreuten Todesfluches vor das Haus der Familie gestreut haben. Der Vater sollte sterben, wenn er darüber hinwegging. Todeszauber aus reinem Neid als Beweggrund – jetzt verstand ich die Warnungen, die Tina erhalten hatte.
Mike erzählte weiter, dass nicht sein Vater sondern er selbst auf dem Weg zu seinem Haus über den Fluch schritt. Er mußte zwar nicht sterben, da der Zauber nicht auf ihn gerichtet war, trotzdem wurde er schwer krank. Sein Vater heilte ihn wiederum mit Voodoomagie von der Krankheit. Mike erzählte uns weiter, dass sein Vater an Voodoozeremonien teilgenommen hatte bei denen eine Kuh erst geschlachtet, dann ihr Blut von der Teilnehmenden getrunken und das Tier zuletzt den Loas als Opfergabe überlassen wurde. Dies war also der richtige Mann für unser Problem.
Wir erzählten ihm unsere Geschichte von Mikigari, der Kette, meinen Verletzungen und dem Verdacht, dass es sich um einen Voodoofluch handeln könnte. Mike bekam bei den Schilderungen große Augen und konnte nicht ausschließlich, dass unsere Schilderungen wirklich einen Fluch beschreiben. Auf unsere Frage ob er uns behilflich sein könnte indem er uns an eine Voodookompetenz vermittelt erzählte er von einer Voodoofrau im 30 Kilometer entfernten Sosua, wo er auch wohnt. Ich fragte, ob wir sie noch heute sehen könnten und so verabredeten wir am Nachmittag gemeinsam nach Sosua zu fahren.
Pünktlich um Viertel vor fünf standen wir also an der Hauptstraße vor dem Gate von Playa Dorada und warteten auf Mike. Sofort kam ein kräftiger Dominikaner auf uns zu und stellte sich als Pablo vor. Er gab uns eine Art Visitenkarte mit seiner Handynummer darauf, unter dem Hinweis er könne wirklich alles für uns besorgen. Tina meinte, sie hätte einen Polizeiausweis in seiner Geldbörse gesehen. Wir wollen keinen Ärger und so halten wir uns lieber fern von solch zwiespältigen Gestalten. Also standen wir weiter halb im Schatten eines Busches an der vierspurigen Straße und beobachteten aufmerksam die Verkehrsszenerie. Ständig hielten Taxis, Guaguas und Busse an um uns mitzunehmen. Viele der Autos dürften vermutlich auf keiner anderen Straße der Welt auch nur einen einzigen Meter fahren.
Zwei Jungen tippten Tina an und überreichten ihr eine kleine gelbe Blüte. Sie war sehr überrascht, bedankte sich aber artig bei den beiden Jungen. Doch die beiden blieben mit einem wehmütigen Blick neben uns stehen. Nachtijall ick hör dir trapsen und so fragte ich die beiden “Dinero?” und sie nickten schüchtern mit dem Kopf. Dinero heisst Geld und die 20RD$, die ich ihnen daraufhin gab, haben sie augenscheinlich sehr glücklich gemacht.
Gegen 17:10 tauchte endlich Mike auf. Er überzeugte uns davon, dass es besser wäre zunächst mit dem Guagua in die entgegengesetzte Richtung nach Puerto Plata zu fahren um von dort ein Linientaxi nach Sosua zu nehmen. An unserer momentanen Position fuhren zwar auch die Taxis nach Sosua vorbei, jedoch war es relativ unwahrscheinlich, dass wir hier ein Taxi mit drei freien Plätzen bekommen würden. Im Übrigen sind Linientaxis wesentlich schneller als Guaguas, wie Mike uns aufklärte. Er sollte damit Recht behalten. Wir bestiegen also ein wartendes Guagua, das sich auf dem Weg nach Puerto Plata langsam füllte.
Am Campo, der zentralen Taxistation am nordöstlichen Stadtrand von Puerto Plata, stiegen wir aus dem Guagua und kämpften uns über die Hauptstraße zur Taxistation auf der anderen Seite. Die Fahrt mit einem Linientaxi nach Sosua kostet pro Nase RD$30 (= 1 US$ = 0,75 Euro) und daher fährt das Taxi unter sechs Passagieren nicht los. Wir waren nur zu dritt und so dauerte es kurz, bis endlich zwei Mädels auf dem Beifahrersitz Platz nahmen und sich eine Dominikarin mit dem typisch mächtig ausgeprägten Hinterteil zu uns auf die Rückbank quetschte.
Wir waren also vollzählig, es konnte losgehen und was nun folgte, war ein echter Höllenritt: Ein Pkw mit sieben Insassen, kaputtem Tacho, defekten Radlagern und abgeschnittenen Sicherheitsgurten, ein ständig hupender, an den unmöglichsten Stellen überholender, mehr mit Geldscheinen zählen beschäftigter als auf den Verkehr achtender Fahrer preschten durch das Gewusel aus Autos, Kleinbussen, Lkw, Mopdes und Pferdekarren, teilweise mit dem gefühlten Doppelten als den erlaubten 80 km/h. Man konnte Tina ihr blankes Entsetzen wirklich ansehen und selbst ich, ein Ungläubiger, ertappte mich mehrfach bei Gedanken an einen Gott.
Endlich, nach 30 km Fahrt, durften wir in Sosua aussteigen und ich schwor, nie wieder ein Linientaxi zu besteigen. Mike wollte uns sogleich auf ein Motoconcho verfrachten, eine Art Zweiradtaxi, schließlich hätten wir ja noch ganze zwei Ecken zu laufen. Da man auf einem solchen 50ccm-Moped-Motoconcho normalerweise auch mal mit drei oder gar vier Personen transportiert wird und wir einen solchen Horror nicht noch einmal ertragen hätten, widersprach ich ihm vehement. So gingen wir also rund 10 Minuten zu Fuss. Ich trug die ganze Zeit die kleine Colaflasche gefüllt mit Quellwasser, in die wir die böse Kette eingelegt hatten. Während wir zwei Gringos hauptsächlich darauf achteten uns nicht die Füsse in den Rinnsteinen zu brechen, schwor Mike uns auf die Voodoolady ein. Wir würden Madame Clio, eine Haitianerin die des Englischen nicht mächtig ist, auf ihrem Zimmer in einer Art Hotel treffen.
So betraten wir einen unscheinbaren Aufgang, stiegen die Treppen empor und gingen über dunkle Flure bis Mike an einer Tür klopfte, die man eigenartigerweise von außen verriegeln konnte. Eine junge Schwarze mit seltsamen Kopftuch öffnete uns und bat uns hinein in das Zimmer, in dem es neben einem Bett, einem Koffer und einem Fernseher nebst Regal nicht allzuviel gab. Der Deckenventilator war defekt, es herrschten mindestens 40°C bei 99% Luftfeuchtigkeit. Wir begannen sofort richtig zu schwitzen. Auf dem Fußboden neben der Eingangstür brannte eine weiße Kerze. Sie soll wohl böse Kräfte daran hindern, das Zimmer zu betreten.
Mike schilderte ihr unser Problem und den Verdacht, dass ein Fluch dafür in Frage käme. Madame Clio ließ sich von mir die Flasche mit der Kette darin geben, wies uns an auf ihrem Bett Platz zu nehmen und betrachtete dann die Kette von allen Seiten, indem sie die Flasche vor das Fenster hielt. Mike übersetzte, dass eine reinigende Zeremonie abgehalten werde müsse, nicht hier sondern an Madame Clios Voodooort, und dass dafür einige Dinge zu besorgen seien. Madame Clio nahm einen kleinen Block und notierte die notwendigen Dinge darauf und Mike meinte zu uns, sie würde das alles besorgen. Ich fragte nach dem Preis dafür und Madame Clio notierte RD$5.000 (= 125 Euro), die ich ihr sofort geben sollte. Hehe, ich bin zwar blöde aber nicht dumm – unser Bargeld verteile ich immer auf diverse Hosentaschen und meinen Hipbag. So kramte ich RD$300 (= 7,50 Euro) aus meinem Beutel und bedeutete, dass dies alles sei was wir mit hätten. Mike drängte darauf, dass ich ihm am nächsten Tag das restliche Geld in die Plaza bringen sollte und um des Friedenswillen willigte ich ein. Madame Clio führte uns nun noch ein paar Voodoo-Wässerchen und -mixturen vor, unter anderem “Agua de Florale”, also ordinäres Blumenwasser. Da es Alkohol enthält leuchtet es mir ein, dass man soetwas auch für reinigende Zeremonien verwendet.
Ich fragte nochmal scheinheilig nach, ob der Fluch auf der Kette oder auf mir laste. Madame Clio erwiderte die Kette sei es, aber um ganz sicher zu gehen würde sie während der Zeremonie auch mich reinigen. Ich beschloss also nun die Kette, das böse Ding, bei ihr zu lassen und so verabschiedeten wir uns mit “Hasta manana” – bis morgen. Von wegen. Ich sagte Mike im Treppenhaus, er brauche sich nicht um uns zu bemühen, wir fänden den Weg zur Hauptstraße alleine und auch unseren Rücktransport könnten wir regeln. Hasta manana a la plaza.
Endlich zurück auf der “kühlen” Straße setzten wir uns auf einen Blumenkübel, rauchten eine Zigarrette und amüsierten uns königlich über die Quacksalberei. Nicht, dass wir keinen Respekt vor Voodoo hätten, vielmehr hatte Tina festgestellt, dass Madame Clio wohl schwanger war. Und Hexen wissen nunmal, dass schwangere Frauen über weit weniger magische Kräfte verfügen als nicht-schwangere. Im Übrigen nennen ehrenwerte Magierinnen, Zauberer und Schamanen aus den unterschiedlichsten Kulturen keinen Preis für ihre Leistung, sondern sind mit dem zufrieden, was man ihnen hinterher aus Dankbarkeit freiwillig dafür gibt. Dennoch waren wir überzeugt davon, dass Madame Clio sehr wohl Voodoo-Fähigkeiten hatte und auch dass sie die negative Energie der Kette gespürt hatte. Ich war jedenfalls froh, das Ding endlich los zu sein.
Wir schlenderten durch Sosua zurück zur Hauptstraße und postierten uns an geeigneter Stelle bei einer Tankstelle um ein Guagua zu stoppen. Ruckzuck hielt ein leeres Taxi, der Fahrer verlangte RD$300 (=10US$), schließlich sei dies eine Privatfahrt. Ich erklärte ihm, nur noch $5 und RD$100 zu haben und er erwiderte “Ok, $15″. Ich schickte ihn fort, schon hielt das nächste leere Taxi. Wieder die gleiche Verhandlung, nur diesmal härter. Wir einigten uns schließlich auf eben diese $5 und RD$100 allerdings unter der Vorraussetzung, dass er “lentamente y seguro”, also langsam und sicher, fahren würde. Und tatsächlich war es eine entspannte Rückfahrt, die Rückbank gehörte uns alleine, auf den Beifahrersitz wurden noch zwei Passagiere eingesammelt. So fuhren wir in den Sonnenuntergang Richtung Westen, zurück Richtung Playa Dorada. Auf dem Weg entdeckte ich auch die Discothek, in der ich vor fünf Jahren mit Einheimischen tanzen war. Sie heißt Allegro (musikalisch für lebhaft). Nach dem Marsch vom Gate zurück zum Occidental Grand Flamenco beschlossen wir, uns aufgrund der Höllenfahrt auf dem Weg nach Sosua richtig zu betrinken.
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